Alfred Meißner                      Ein Ziel

 

Willst du das Herz im Busen dir erweitern

und zeigen auch, wie hoch du schon gestiegen,

Versuch’ es, über großen Stoff zu siegen,

Nur so zählst du dereinst zu großen Streitern.

 

Im Gartenteich wird nie ein Schiffer scheitern,

Im kleinen Liede kein Poet erliegen,

Doch einmal muß es heißen: Kannst du fliegen?

Zum höchsten Ziele führen keine Leitern.

 

Nimm unser Weltentwicklung ew’ge Fehden,

Dem Kampf des neuen Glaubens mit dem alten,

Und zeige die Berecht’gung eines jeden.

 

Verkörp’re dies in mächtigen Gestalten,

Und hörten wir daraus das Fatum reden –

Dann wollen wir dich für den Dichter halten.

 

 

 

 

Alfred Meißner                      Zurechtweisung

 

Und glaubst du nicht, daß sie sind selig droben?

Sprachst du und blickest nach dem schönsten Sterne.

Du wolltest sagen: Dort in jener Ferne,

Dort wohnt das Glück und muß der Sturm vertoben.

 

Ich aber sprach: Erhalt’ dein Aug’ gehoben

Auf’s eigne Herz und mach’ es stark und lerne:

Nichts ändern kann der Ort an unserm Kerne,

Und wie wir hier sind, wären wir auch oben.

 

Auch diese arme Welt, im Luftmeer hangend,

Sie ist von jenem Sterne aus gesehen

Ein lichter ball, im hellen Goldlicht prangend.

 

Und brechen schwache Herzen dort, so spähen

Sie auf nach uns und zu uns her verlangend

Aufseufzen sie: Dort müssen Sel’ge gehen!

 

 

 

 

 

Alfred Meißner                      Erstarrung

 

Ihr nennt mich hart, weil stumm und in Verwahrung

Ich meinen Groll und meine Schmerzen trage,

Und weil mein Mund, verschmähend eitle Klage,

Nicht prahlen mag mit gräßlicher Erfahrung.

 

Doch ein gefang’ner Geier ohne Nahrung,

Zerwühlt der Schmerz mein Herz mit jedem Tage,

Das Gitter bebt vom starken Flügelschlage,

Doch wird kein Wehschrei feige Offenbarung.

 

Du, der mich schmäht, du bleicher Heuchler, nenne

Mir einen Schmerz, der nicht dies Herz zerschnitten,

Ein Hochgefühl, an dem ich nicht entbrenne!

 

Ich hab’ wie Siegfried mir die Wehr erstritten,

Ich bin nur hart, weil ich das Leben kenne,

Und meine Schuld ist, daß ich viel gelitten.

 

 

 

 

 

Alfred Meißner

 

Im alten Garten, wo die braunen Rehe

Durch’s Laubwerk gehn und schüchtern um sich schauen,

Da liegt mein Lieb, die herrlichste der Frauen,

Ganz nackt vom Wirbel bis zur kleinen Zehe.

 

Die eine Hand ruht in der Hüften Nähe,

Die andre Hand beschattet ihre Brauen,

In meinem Herzen regt sich heißes Grauen,

Wie ich dies Bild in seiner Schönheit sehe.

 

Still ruht sie da im Schlummer, unvernichtbar,

Hin durch den Leib sich blaue Adern winden,

Doch ist kein Steigen ihres Busens sichtbar.

 

Still ruht sie da, die Holde, Wunderbare,

Ein einz’ger Fehler ist an ihr zu finden:

Sie ist von Stein und alt zweitausend Jahre.